Azize Tank (DIE LINKE): Die Linke unterstützt eine Vertiefung des internationalen Austauschs in Wissenschaft, Forschung und dem schulischen Bereich. Dies stärkt die Demokratisierung der Wissenschaft, fördert innovatives Denken und Fortschritt, ermöglicht die zwischenmenschliche Begegnung und den Abbau von Vorurteilen. Bildung schafft Räume für kritisches Denken. Wir begrüßen deshalb ausdrücklich, dass Maßnahmen zur Berufsbildung in Indien gefördert werden sollen. Die im Antrag enthaltene unverhohlene Zweckdienlichkeit lehnen wir jedoch ab. Dem vorliegenden Antrag der Regierungskoalition zum Ausbau der deutsch-indischen Bildungs- und Wissenschaftskooperation können wir aus diesen Gründen nicht zustimmen, und deswegen enthält sich die Linke bei diesem Antrag. Wir fordern die Bundesregierung zu Korrekturen und einem Umdenken im Bereich der Förderung von internationalen Bildungsmaßnahmen insbesondere in Indien auf, damit eine soziale Teilhabe für alle ermöglicht wird. Jede Diskussion über die Förderung des Austausches von Hochqualifizierten muss vor dem Hintergrund der sozioökonomischen Verhältnisse des Herkunftslandes und der Rolle, welche diesen Menschen in der globalen Arbeitsteilung zugeschrieben wird, geführt werden.
Austausch ist gut – soziale Gerechtigkeit ist besser
Natürlich können Auswanderer und Auswanderinnen auch einen positiven Beitrag zur Entwicklung ihrer Herkunftsländer leisten. Die Linke unterstützt grundsätzlich das Recht aller Menschen auf Bewegungsfreiheit. In diesem Zusammenhang ist es aber notwendig, dass auch Indien tatsächlich von einem solchen Austausch profitiert. Die Bundesregierung folgt jedoch bislang einer sehr einseitigen Logik. Alles, was gut für deutsche Investitionen in Indien ist, sei gut, alles, was zur Ausbildung von Fachkräften in Indien führt, die der deutschen Industrie dienen könnten, ebenfalls. Doch wo ist die Perspektive Indiens bei diesen Investitionen und diesen Bildungsmaßnahmen? Entspricht dies den Erwartungen der von Bildung ausgeschlossenen Menschen in Indien? Wer in die Bildung in Indien investieren will, der muss die dortigen sozialen Kämpfe und Debatten der Studierenden und vieler Lehrkräfte zur Kenntnis nehmen, wie sie auch zuletzt am St. Stephen’s College in Delhi insbesondere von den Dalit geführt und entschieden vorangebracht wurden.
Keine soziale Selektion durch Fördermaßnahmen!
Es geht dabei nicht um neue Bildungsmethoden oder ein duales Bildungssystem, sondern immer um eines: Inklusion in das Bildungssystem. Wer die deutsch-indische Bildungs- und Wissenschaftskooperation wirklich voranbringen will, der kann dies nicht ignorieren. Inklusion, die Möglichkeit einer beruflichen Ausbildung, bedeutet für Millionen von Menschen in Indien vor allem gesellschaftliche Teilhabe, sozialer Aufstieg und wirtschaftliche Mobilität. Wer in diesen Prozess mit eigenen Maßnahmen eingreifen will, der muss mögliche soziale Auswirkungen mitbedenken. Wir können solange nicht über Qualität in der Bildung sprechen, solange diese Bildung nicht auch mit sozialer Gerechtigkeit einhergeht. Soziale Gerechtigkeit darf dabei nicht für eine bestimmte Elite, soziale Klasse, Kaste oder ein Geschlecht reserviert sein. Deshalb fordere ich die Bundesregierung auf, ihre bisherigen Fördermaßnahmen in diesem Bereich zu evaluieren und auf die sozialen Auswirkungen hin zu hinterfragen, wo gegebenenfalls gegenzusteuern ist. Das Gleiche gilt für die im vorliegenden Antrag vorgeschlagenen Maßnahmen. Wissenschaftlicher Austausch ist gut – soziale Gerechtigkeit ist besser.
Das Abwandern hochqualifizierter Menschen ist oft die Folge einer ungerechten Entwicklung, die weite Teile der Gesellschaft verurteilt, in Armut zu leben, ohne Zugang zur Arbeit und sozialen Menschenrechten, ausgeschlossen von gesellschaftlicher Teilhabe. In dieser Perspektive erscheint die Freiheit der einen oft nur als auf einen bestimmten gesellschaftlichen Schichten auferlegter Zwang zur Migration, da im Herkunftsland keine alternativen Möglichkeiten bereitgestellt werden, um ihre persönlichen Lebensentwürfe zu verwirklichen. Vergessen wir auch nicht, dass menschliche Ressourcen eines Herkunftslandes begrenzt sind. Das gilt nicht nur für Indien, sondern auch für viele Gesellschaften der EU-Mitgliedstaaten in Ost- und Südeuropa. Wer die sozioökonomischen Bedingungen in einem Land wie Indien ignoriert und Bildungscurricula aus anderen Ländern importiert und zu universalisieren versucht, der muss sich der inhärenten gesellschaftlichen Gewalt, die dieser Uniformierung inne ist, bewusst sein.
Förderung gesellschaftlicher Teilhabe muss in den Mittelpunkt gerückt werden!
Die weitgehende Verschulung der universitären Bildung, Patriarchalismus und autoritäres Erziehen, das immer noch weit verbreitete Auswendiglernen, welche als Altlast zwischen kolonialer Bildung und postkolonialen Formen der Wissensvermittlung weit verankert ist, muss sich auch in den Ansätzen widerspiegeln, welche Maß- nahmen der Berufsbildung zugrunde liegen. Unlängst wird von Forschern kritisiert, dass sich eine nationalistisch gesinnte hinduistische Mittelschicht auf der einen und Unterklassen und Minderheiten auf der anderen Seite gespalten haben. Dieser Prozess darf durch Brain Drain und Body Shopping nicht weiter verstärkt werden. Deshalb kann die deutsch-indische Bildungs- und Wissenschaftskooperation nicht auf die Nutzbarkeit von Arbeitskräften in der globalen Arbeitsteilung reduziert werden, sondern muss Maßnahmen zur Stärkung der gesellschaftlichen Diversität enthalten, die den Zugang zu einer Förderung durch Inklusion von Ausgeschlossenen demokratisiert. Es muss eine Förderung inklusiver Bildungsprojekte in Indien geben.
Kein Global „Body Shopping“ in Schwellenländern!
Natürlich ist die Entwicklung Indiens als Schwellenland mit der am zweitschnellsten wachsenden Wirtschaft beachtlich. Doch es muss die Frage erlaubt sein, welchen Einfluss dieser Wirtschaftsaufschwung tatsächlich auf die Hebung der Lebensqualität für alle Menschen in Indien hat? Es muss danach gefragt werden, inwiefern das globale Body Shopping, wie es ausgewiesene Wissenschaftlerinnen längst in Indien festgestellt haben, weit mehr als zur Entwicklung des Landes auch zu der Verfestigung der sozialen Spaltung in Indien beiträgt, in dem bestimmte gesellschaftliche Schichten als Eliten gefördert und andere wiederum ausgegrenzt und an der Fortentwicklung ihrer menschlichen Fähigkeiten gehindert werden. Der globale wirtschaftliche Austausch und die Produktion werden durch konkrete menschliche Beziehung der Arbeitswelt hergestellt. Dieser globalen Arbeitsteilung liegen Strukturen zugrunde, welche den Menschen in bestimmten Regionen bestimmte Funktionen und Rollen in diesem Prozess zuschreiben. Aber warum sind es gerade die indischen Facharbeiter, die für diese Arbeitsteilung so entscheidend sind? Hinter dem indischen IT-Wunder steht auch die Tatsache, dass es um hohe Qualifikationen geht, niedrige Löhne und ein großes Reservoir an Arbeitskräften. Dies ist das Rezept des hohen Mehrwerts für die kapitalistische Wirtschaft, die die indische Gesellschaft bezahlt. Die große Disparität lässt sich in dem Nutzen der indischen Arbeitskräfte für die IT-Branche und dem üblichen Lohn der globalen Märkte messen. Ethnisierung, soziale Spaltung, Geschlecht und Hautfarbe sind Faktoren dieser Arbeitsteilung und zugleich das Fundament der Spezialisierung Indiens auf die Ausbildung hochqualifizierter und zugleich billiger Arbeitskräfte für den Weltmarkt.
Betrachtet man die Liste mit den zu fördernden Projekten, findet sich dort keines wieder, welches sich mit dem großen Entwicklungsbedarf in Indien selbst beschäftigt. Stattdessen findet eine Eliteförderung statt. Ein Beispiel dafür ist die unter Ziffer 15 des Antrags angedachte Förderung der Partnerschulinitiative PASCH, die eben nur ausgewählte Schulen teilhaben lässt. Eine Auswahl ist eine Selektion und spricht gegen die Möglichkeit, dass alle von diesem Bildungsprojekt profitieren können. Insbesondere finden wir hier keine Gedanken zu der Teilhabe an Bildung als Sozialem Menschenrecht, welches in Indien gestärkt werden sollte.