Am 1. Juni 2015 ist das deutsch-polnische Abkommen über Ghetto-Renten in Kraft getreten. Die Vereinbarung ermöglicht die Auszahlung von Ghetto-Renten nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) an ehemalige Ghettobeschäftigte mit Wohnsitz in Polen. Bislang verhinderte das sogenannte Eingliederungsprinzip eines älteren Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über Renten- und Unfallversicherung vom 9. Oktober 1975 die Auszahlung von Ghetto-Renten nach Polen.
Deshalb scheiterten polnische Überlebende im Juli 2012 mit einer Klage vor dem Bundessozialgericht, als sie ihre Ansprüche auf Zahlung von Regelaltersrenten aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung unter Berücksichtigung von Beitragszeiten nach dem ZRBG geltend machen wollten.
Das neue Abkommen vom 5. Dezember 2014 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen zum Export besonderer Leistungen für berechtigte Personen, die im Hoheitsgebiet der Republik Polen wohnhaft sind, ermöglicht die Auszahlung der Ghetto-Renten nach Polen und lässt das Abkommen von 1975 unangetastet. Damit wird die andauernde Diskriminierung von ehemaligen Ghettobeschäftigten mit Wohnsitz in Polen beendet.
Jahrelanger Kampf
Die Unterzeichnung des Abkommens ist das Ergebnis eines jahrelangen Kampfes der Vereinigung der Jüdischen Kombattantinnen und Kombattanten und Geschädigten des Zweiten Weltkrieges mit Sitz in Warschau, deren Vorsitzende Arnold Mostowicz und später Tomasz Miedziński sich mit der Unterstützung von Marian Kalwary von der Vereinigung „Kinder des Holocaust“ in Polen seit mehr als zehn Jahren um die Anerkennung der Ansprüche ihrer Mitgliederinnen und Mitglieder auf deutsche Renten bemühten. Hintergrund war die Tatsache, dass die mörderische Arbeit in den deutschen Ghettos grundsätzlich mit der Abführung von Sozialversicherungsleistungen an die Deutsche Rentenversicherung einherging. Die polnischen Überlebenden wurden in ihrem Kampf durch die Fraktion DIE LINKE. im Bundestag unterstützt.
Azize Tank, Sprecherin für Soziale Menschenrechte der Fraktion, begleitete die Bemühungen der Ghettobeschäftigten und hatte im Deutschen Bundestag immer wieder auf die bestehende Diskriminierung hingewiesen. Von einem „Meilenstein bei der Anerkennung von Rentenzeiten ehemaliger Ghettobeschäftigter“, spricht Azize Tank nun, nachdem das Abkommen in Kraft ist. „Es schließt eine weitere Lücke in der gesetzlichen Sozialversicherung in den Erwerbsbiographien von Menschen, deren Arbeitskraft durch die Nazis ausgebeutet wurde.“
Anlässlich des neuen Abkommens fand am 29. Mai in Warschau eine feierliche Danksagung der Überlebenden statt. Tomasz Miedziński, Vorsitzender der Vereinigung der Jüdischen Kombattantinnen und Kombattanten, würdigte dabei ausdrücklich die Unterstützung der Bundestagsabgeordneten Azize Tank: „Im Namen der Naziopfer in Polen – ehemaliger KZ-Häftlinge und Holocaust-Kinder möchte ich mich bei Ihnen persönlich und Ihren Mitarbeitern im Deutschen Bundestag bedanken. Sie haben zu einem positiven Abschluss dieser für uns schmerzhaften Angelegenheit beigetragen. Ich danke Frau Tank für die persönliche Anteilnahme und Ihrer Fraktion im Deutschen Bundestag für die maßgebliche Unterstützung unserer Bemühungen.“ Herr Miedziński erinnerte in seiner Ansprache an den langen seit 1998 andauernden Kampf um die „Anerkennung der Würde“ der ehemaligen Ghettobeschäftigten aus Polen und die Auseinandersetzungen mit der deutschen Bürokratie. Bewegend war dabei auch seine Adresse an deutsche Antifaschistinnen und Antifaschisten, die den Kampf der Überlebenden aus Polen gegen die bestehende Diskriminierung unterstützten.
Zahlreiche Shoa-Überlebende bei Zeremonie anwesend
Bei der feierlichen Zeremonie im Karnicki-Palais, dem Sitz der Warschauer Dependance des Deutschen Historischen Instituts, wurde auch die Arbeit von Kamil Majchrzak, deutsch-polnischer Jurist und Mitarbeiter im MdB-Büro Tank gewürdigt. Neben ihm wurden der polnische Minister für Arbeit und Sozialpolitik Marek Bucior, der Sozialrichter Jan-Robert von Renesse, der Historiker Stephan Lehnstaedt sowie die Rechtsanwältin Simona Reppenhagen für ihre Bemühungen bei der Zahlbarmachung von Ghetto-Renten mit der Ehren-Medaille „Aufstand im Warschauer Ghetto“ ausgezeichnet. Diese Medaille, auch bekannt als Mordechaj-Anielewicz-Medaille (in Erinnerung an den Anführer des Ghetto-Aufstandes), wird seit 1993 anlässlich des Jahrestages des Aufstandes im Warschauer Ghetto 1943 an ehemalige jüdische Widerstandskämpferinnen und -Kämpfer verliehen.
In den vergangenen Jahren wurden daneben auch Personen ausgezeichnet, die sich in herausragender Weise gegen Antisemitismus, Rassismus und Nationalismus engagieren und die Erinnerung an den bewaffneten Widerstand der Jüdinnen und Juden im Kampf gegen den deutschen Faschismus wach halten. Bislang wurden u.a. Symcha Ratajzer-Rotem, Marek Edelman, Agnieszka Holland, Maria Janion, Dr. Robert Kuwałek sowie Halina Bortnowska-Dąbrowska ausgezeichnet.
Bei der Ehrung waren zahlreiche Shoah-Überlebende sowie der deutsche Botschafter Rolf Nikel anwesend. Minister Bucior bedankte sich in seiner Rede für die Aufgeschlossenheit von Staatsekretärin Gabriele Lösekrug-Möller (SPD) und hob die gute Arbeitsatmosphäre zwischen dem an der Ausarbeitung des Abkommens beteiligten deutschen Bundesministerium für Arbeit und Soziales sowie dem polnischen Ministeriums für Arbeit und Sozialpolitik.